Novelle. The Hidden Power of Nonchalance
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Für den Portalsteher kommt diese Einsicht zu spät. Aber man soll eine so flüchtige Begegnung auch nicht überbewerten. Was ihm widerfuhr, passiert einem normalerweise ein- oder zweimal im Leben und husch! ist es vorbei, bevor man recht merkt, dass einen Moment lang nicht nur das Denken, sondern auch alle anderen Funktionen ausgesetzt haben, die man mit dem verbindet, was allgemein Leben genannt wird, wenigstens mit dem eigenen, dass man also einen Moment lang aufgehört hat zu leben, während, nun, ich wiederhole mich, ein anderer durch einen hindurchgegangen ist, mit einem Gesicht, als sei das weiß Gott nichts Besonderes, als sei es nichts, als geschehe es gar nicht, mit einem vollkommen gleichgültigen Gesicht, das jeden Ausdruck von Hochmut weit hinter sich lässt. Problematisch wird der Fall, und man weiß zunächst einmal gar nicht mehr, was man davon halten soll, wenn aus diesen zwei oder drei Momenten ein mehr oder weniger zusammenhängender, mehr oder weniger lückenloser, mehr oder weniger ausgedehnter Moment wird, der sich sozusagen nicht mehr abschalten lässt, sei es, dass einer den Schalter nicht findet, sei es, dass der Zugang zum Schalter durch irgendeinen Umstand blockiert wird. Das ist ein hypothetischer Fall, ganz recht, aber man sollte ihn nicht schon deswegen ausschließen. Wenn Sie sagen, das sei den Frauen Jahrhunderte oder Jahrtausende lang so ergangen – Frauenfragen zählen immer seit Christi Geburt oder der Vertreibung aus dem Paradies –, dann muss ich Sie eines Besseren belehren, dann sind Sie auf dem Weg des mechanischen Niederquatschens der anderen Seite schon ein gutes Stück vorangekommen und ich möchte Ihnen gratulieren, aber nicht unbedingt Ihren Weg kreuzen, falls ein Bedürfnis Sie ankommt. Diese routinemäßige Ausbeutung einer Großwetterlage ist unserer rechenhaften Zeitgenossin unmittelbar. Soll heißen, sie muss nicht darüber nachdenken, um sie zu verwerten, ohne deshalb unbedacht zu wirken oder es wirklich zu sein. Als unbedacht sollte man sie nun wirklich nicht bezeichnen, das hat sie nicht verdient, im Gegenteil, Bedachtsamkeit hält sie für ihren größten Vorzug. In unserem hypothetischen Fall sieht es daher so aus, als habe der Mann die Positionen freiwillig geräumt oder gar nicht erst besetzt, in denen sie ihn – ersetzt, und es genügt ein Lächeln oder eine leise Andeutung, um diesen Eindruck in jedem Dritten zur Gewissheit zu verstärken. Ein solcher Dritter, sollte er länger in der Rolle des Zuschauers ausharren, könnte sich allenfalls wundern, dass die gelegentlich fallende spitze Bemerkung sich im Laufe der Jahre zu einem System handfester Anzüglichkeiten auswächst, möglicherweise würde es ihn befremden, Zeuge einer der im Lauf der Jahre häufiger werdenden Entgleisungen zu werden, aber das anwachsende Gezeter ist nur die eine, die freundliche Maske des Problems, das darin besteht, dass alle, soweit sie in das System einbezogen werden, wissen, was ... ihr Opfer nicht weiß, aber in seinen Auswirkungen zu spüren bekommt, die es nicht recht taxieren kann, denn es hält sich unseligerweise für einen merkwürdigen Menschen und ist sich seiner Wirkung auf andere aufgrund der einen oder anderen unglücklichen Entwicklung nie besonders sicher. Er weiß nicht, dass die rechenhafte Frau sich diese Unsicherheit zunutze macht, dass sie sie verstärkt und ihre Resultate im Umgang mit gemeinsamen Bekannten vorwegnimmt, vor allem dann, wenn er nicht dabei ist, dass sie überhaupt den katastrophischen Zug seines Wesens, einmal stärker, einmal schwächer, sottoliniert, mit fein abgestuften Ausrufezeichen versieht, ihm durch das unausgesetzt im Einsatz befindliche Signalement der Enttäuschung eine Folgerichtigkeit verleiht, deren Grund der Mann nicht einsieht, so dass er irgendwann mit dem beklommenen Gefühl am Tisch sitzt, allein zu sein, allein unter all den fremd gewordenen Bekannten und Freunden, soweit er sie noch hier und da sieht.