Der Portalsteher – oder sein Gegenstück in dieser wirklichen Geschichte – ist ein seltsamer Mensch. Er hat sich ein System von Pflichten zurechtgelegt, das, wie er glaubt, ihm den Weg auf die andere Seite offenhält und ihm das Gefühl vermittelt, sich relativ selbstbestimmt diesseits und jenseits des Durchgangs zu bewegen, das hat er von klein auf geübt, es ist ihm unwillkürlich geworden. Was nicht heißt, dass er es nicht mehr sieht, ganz im Gegenteil, es steht ihm fast täglich vor Augen und wenn er es einmal vergisst, dann erinnert ihn ein feingesponnenes Netz von Symptomen an die Fäden, an denen er hängt. Immer wieder gibt es in seinem Leben Zeiten, entspannte Zeiten, da glaubt er, diese Fäden verlören sich im leeren Raum und es läge nur an ihm, sich zu entscheiden. Straft ihn dann eine Person, die er kennt und mit der ihn, wie er glaubt, gemeinsame Interessen verbinden, auf drastische Weise Lügen – dadurch, dass sie die Fäden ganz selbstverständlich in die Hand nimmt und im Handumdrehen beweist, wie leicht es gelingt, ihn durch Zug und Druck in Bewegung zu setzen –, dann handelt er schroff und zuversichtlich, indem er eine solche Beziehung unwiderruflich kappt. Es kommt vor, dass er sich wundert, mit welcher Selbstverständlichkeit Leute, denen er ganz sicher keinen Zugang zu seinen speziellen Lebensmotiven gewährt hat, sich dieser Motive bedienen, es veranlasst ihn zu Meditationen über die Fähigkeit der einfachsten Leute, die Schwächen ihrer Mitmenschen aufzuspüren und mit fast tödlicher Sicherheit auszubeuten. Allein der Gedanke an eine kontinuierlich sprudelnde Informationsquelle in seiner unmittelbaren Umgebung bleibt ihm fremd, was nicht heißt, dass er ihn nicht gelegentlich zur Lagebestimmung heranzöge. Er kommt ihm nur so widersinnig vor, dass er ihn als interessantes Element eines sich am Horizont als Möglichkeit abzeichnenden Verfolgungswahns rubriziert und beiseitelegt. Dabei entgeht ihm nicht, dass die sich abzeichnende Möglichkeit ohne einen realen Kern von steigerungsfähiger und gelegentlich steigerungswilliger Unruhe nicht existierte, der wiederum auf die Frau an seiner Seite zurückweist, die ihm ungefragt mit planerischer Unbeirrbarkeit eine Reihe von Lebensaufgaben abnimmt, die zu bewältigen ihm, folgt er ihren diesbezüglichen Bemerkungen, nur insofern zuzutrauen wäre, als sie dabei eine Reihe größerer oder kleinerer Fehlleistungen in Kauf nehmen müsste. Wirklich erinnert er sich solcher Fehlleistungen, meist läppischer Kleinigkeiten (ein vergessener Regenschirm, die von ihm eingepackten ›falschen‹ Zahnbürsten, eine im nachhinein günstige, nichtsdestoweniger unverzeihliche ›Fehlbuchung‹ in einem Hotel), die Erinnerung daran weckt ein gewisses Gefühl der Scham, während ihm aus jenen Zeiten, in denen er die Dinge mit der Selbstverständlichkeit dessen erledigte, der nicht gewohnt ist, ein Domestikengeschwader zu beschäftigen, um von X nach A zu kommen, nichts Gleichartiges im Gedächtnis haften geblieben ist. Auch hier kommt es ihm so vor, als sondere ihre gemeinsame Umgebung etwas leichtfertig Äußerungen ab, in denen das, was er aus dem Mund der Frau als zänkisch-gutmütigen Ausdruck einer in die Jahre gekommenen Vertrautheit mit einem gewissen Zucken hinzunehmen bereit ist, auf sonderbare Weise zu einem kompakten und selbst in Einzelfällen unrevidierbaren Urteil über seine Unfähigkeit in allen praktischen Lebenslagen geronnen scheint. Unüberhörbar klingt darin die Genugtuung mit, so einem wie ihm wenigstens in dieser Hinsicht überlegen zu sein, übrigens vorzugsweise aus dem Mund von Leuten, denen er sich in diesen Dingen durchaus ebenbürtig oder überlegen fühlt, wobei ihm diese Überlegenheit völlig unerheblich vorkommt, weil sie sich auf mediokre oder ganz unerhebliche Dinge bezieht, in welche jene Leute aber, das muss er zugeben, viel Zeit und Überlegung investieren. Auch nützt sich jener ja auch schmeichelhafte Eindruck im Lauf der Jahre ab, bis er eines Tages wirkliche Geringschätzung in ihrer Rede zu erkennen glaubt, woraufhin er beginnt, diese Kontakte schleifen zu lassen, um ein oder mehrere Monate später die Erfahrung zu machen, dass ihm dies keineswegs übel genommen wird. Wenn er genau hinsieht, kann er nicht umhin zu konstatieren, dass die betreffenden Leute sich so verhalten, als hätten sie seit Jahr und Tag darauf gewartet, von ihm fallen gelassen zu werden, als erfülle es sie geradezu mit Genugtuung, dass er endlich zu begreifen beginne. Das ist die Zeit, in der das Telefon nur noch selten und wochenlang überhaupt nicht klingelt, wenn er die Wohnung hütet, was hin und wieder vorkommt. |
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