Novelle. The Hidden Power of Nonchalance
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WENN EIN Mann, meinetwegen Ingenieur von Beruf, den die Umgebung jahraus jahrein als geduldigen Packesel kennt, der nie durch Intelligenz aufgefallen ist, sich aber auch nichts hat zuschulden kommen lassen, es sei denn, man will es ihm als Schuld anrechnen, dass er im Lauf der Jahre gerade in dem Maße an Gewicht verloren hat, in dem seine beruflich freigestellte Frau zur dominanten ›Persönlichkeit‹ herangereift ist, – wenn dieser Mann eines Tages die Schippe aufhebt und eine Handvoll glühender Kohlen gegen seine Frau schleudert (es gibt keine Zeugen für den Vorfall, aber nehmen wir einmal an, der Bericht, den die Frau davon gibt, entfernt sich nicht allzu weit von der Wahrheit), dann sollte der Vorgang auffällig genug sein, um Fragen zu provozieren, direkte und indirekte. Der Grundsatz, dass nichts ohne zureichenden Grund geschieht, dass gerade das scheinbar Grundlose höchst verdächtig ist, gehört zum dauerhaften Bestand des europäischen Bewusstseins, den keine voreilige Applikation der Quantenmechanik auszuhebeln vermochte, es ist der Grundsatz der Aufklärung, übrigens auch im kriminalistischen Sinn, das ist doch klar. Man sollte also meinen, dass Freundinnen, langjährige Freundinnen, denen die Attackierte sich anvertraut, Fragen stellen – vorsichtig, behutsam, wie man das nennt, keine will in einem solchen Fall verletzen, keine sich die Finger verbrennen, aber wer urteilen oder sogar helfen soll, der muss wissen, so verlangt es die Regel. Wenn gerade das aber nicht geschieht, wenn es von Stund’ an nur noch darum geht, sich solidarisch zu verhalten, also kollektiv feindselig gegen den mutmaßlichen Täter vorzugehen, wenn es nur noch darum zu tun ist, die Angegriffene mit Rat und Tat durch eine nach und nach sichtbar werdende Folge, sagen wir: hinterlistiger Handlungen zu geleiten, an deren Ende der Noch-immer-Täter Weib und Kind Weib und Kind sein lässt, ihr, gewissermaßen schmachbeladen, das in jahrelanger Eigenarbeit hochgezogene und ausstaffierte Haus, verbaute und verbosselte Lebenszeit, hinwirft, um in ein nicht weiter interessierendes Nirgendwo zu entschwinden, ohne dass eine der solidarischen Schwestern – oder einer ihrer Ehegatten oder diversen Lebensbegleiter – in der Zeit wachsender Spannungen ein einziges persönliches Wort mit ihm gewechselt hätte, dann wirft auch das Fragen auf, Fragen nach der Art solcher schwesterlichen Freundschaften, nach ihrer Aufgabe und dem Nachdruck, den ihnen ebenso harmlos scheinende wie verbreitete Gesinnungen verleihen, so dass einer schon die Statur eines Don Quijote bräuchte, sich ihr zu widersetzen. Und auch das erscheint fraglich – wahrscheinlich wäre Don Quijote der ungeeignetste aller Ritter, wenn es darum ginge, sich gegen den Chor der Weiber aufzulehnen.