Novelle. The Hidden Power of Nonchalance
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Warum kommt ein Mann nach Hause? Er weiß es nicht, es ist ihm entfallen, abhanden gekommen im Lauf der Jahre, in denen das noch warme, während des Abkühlens hin und wieder leise Laut gebende Metall der Lampe signalisierte, dass das Licht soeben gelöscht wurde, vermutlich, als das Klappern der Haustür sein Kommen ankündigte. Verglichen mit den Monaten oder Jahren, in denen sie sein Kommen abwartete, um sich nach einer flüchtigen Begrüßung ins Schlafzimmer zurückzuziehen, wo noch lange das Licht brannte, ist ihm das jetzt fast lieber. Natürlich sind es die Kinder, derentwegen er diese ihn von Jahr zu Jahr mehr strapazierenden Reisen auf sich nimmt. Es sind immer die Kinder, seltsamerweise erfüllt er folgsam gerade darin das Programm der Frau. Mit diesem Satz hat sie ihn markiert, zu einer Zeit, als er noch ihre körperliche Nähe suchte: »Es geht um die Kinder, um nichts als die Kinder«. Der Schlag saß, er spürt ihn noch heute. Auf die kühle Annullierung der Zukunft folgte die Annihilation der Vergangenheit. Nein, sie kann sich nicht erinnern, sie hat das alles völlig anders erlebt, tja, da muss er sich wohl in der Frau geirrt haben, da kann sie ihm auch nicht helfen, sie weiß nun wirklich nicht, wovon er da redet, und Gemeinsamkeit oder sogar Innigkeit zwischen ihnen, das muss er wohl im Traum erlebt haben, das müsste sie wissen. »Das sagst du nur so, das ist nicht dein Ernst.« Auf ihre Entgegnung wartet er noch heute. Wartet er? Nein, er wartet nicht mehr, nicht, dass er es irgendwann aufgegeben hätte, Resignation liegt ihm nicht. Er hat das Programm gekappt, das ganze Programm. Sehen Sie mich nicht so an, als wüssten Sie nicht, was ich meine. Wenn er diese Frau geliebt hat – und er hat sie geliebt, daran besteht kein Zweifel –, dann war das, was er damals in Angriff nahm, unumgänglich: die Ausrottung, die Ausrottung dieser Liebe in ihm selbst, kein allmähliches Erkalten eines Gefühls, kein mysteriöser Umschwung der Psyche, keine egoistische Neuorientierung, kein Auf zu neuen Ufern, sondern die Durchführung eines Entschlusses, der unumgänglich geworden war, wollte er nicht die Achtung vor sich selbst verlieren. Denn diese Frau hat keine Achtung vor ihm, sie hat gar keine Ahnung, was das sein könnte, sie ist sich keines Mangels bewusst. Ich sehe es Ihnen an, Sie wollen mich fragen, woher ich das weiß, das werde ich Ihnen sagen. Ich werde es Ihnen sagen, aber vorher bitte ich Sie um einen kleinen Gefallen: Zeigen Sie mir eine Frau, diskret natürlich, die nicht zu wissen glaubt, wie ein Mann funktioniert, sie alle glauben daran bis ins Unglück und darüber hinaus, sie haben den Mann intus – daran scheitern sie, anschließend rächen sie sich. Diese hier, sie exekutiert ihr Programm, sie sieht gar nicht ein, was daran bedenklich oder falsch sein sollte, das miserable Ergebnis ficht sie nicht an, weil die ganze Sache von Anfang an darauf ausgelegt ist, dass der Mann sich bewährt – die Frau ›versteht sich‹ als Bewährungshelferin, sie opfert sich auf, selbstredend, und wenn’s schief geht, hat sie ihr Möglichstes getan. Das ist etwas, das den Mann in stille Wut und offene Raserei versetzt, je nachdem, an welcher Stelle das Rad des Hinnehmens gerade angelangt ist, aber es nützt ihm nichts, weil ihr beides egal ist und weil sie keinen Grund sieht, verstehen zu wollen, was da in ihm vorgeht. Sie versteht nur, dass es im Augenblick keinen Zweck hat, weiter zu insistieren, das Tierchen tobt, das Tierchen wird sich wieder beruhigen. Das Tierchen wird sich beruhigen, aber das hat seinen Preis, und sie sollte, meinte sie es redlich, beunruhigt sein über Art und Höhe, aber genau das umhüllt sie mit dem Schleier des Geheimnisses. Und sie hat ihre Freude an dem, was ihr keinerlei Freude bereiten dürfte, weil es sich gegen sie selbst, gegen ihr eigenes Leben richten wird und bereits gerichtet hat, sie hat ihre Freude, ihre stille, tief gegründete Freude inmitten der Sprach- und Freudlosigkeit dieses Zusammenlebens, das ein Gegeneinanderleben ist, sie zahlt den Preis gern, denn nur so hat sie die Sache im Griff. ›Die Sache im Griff haben‹, das heißt, um die Sache auf den Begriff zu bringen: Nur so kann sie leben, nicht anders, das System der Sicherungen drängt aus ihr heraus, setzt sich in ihr und durch sie an die Hebel, es durchdringt ihren Körper, ihre Gefühle, ihre Gedanken, es füllt sie an bis zum Äußersten, man könnte sich wundern, dass sich bei alledem eine menschliche Kontur erhält, eine täuschende Oberfläche, ein Flaum, der bei flüchtiger Berührung hinreicht, um solidarische Empfindungen zu wecken oder zu erhalten. Diese Frau stellt keine übertriebenen Ansprüche und sie verleugnet sich nicht, sie weiß offenbar, was sie will, und sie verfügt über genaue Vorstellungen, was sich davon verwirklichen lässt, sie scheint gut organisiert, eine verlässliche, gelegentlich burschikos auftretende, sich nie nach vorn drängende Partnerin, man kann sich gut vorstellen, mit ihr etwas durchzuziehen, fragt sich nur, was.