Novelle. The Hidden Power of Nonchalance
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Brauchen Sie mehr? Bitte, der Mann beschwert sich nicht, er nimmt seine Zustände in sich hinein, er nimmt sich ihrer mit derselben Inständigkeit an, mit der die Alten ihre mitgealterten Leiden pflegen, denn er kennt sie schon, er kennt sie aus einem früheren Leben, das Bett ist bereitet, in dem sie sich ausstrecken und bedient werden möchten. Der Witz der Frau geht auf die Aneignung älterer Niederlagen, den größten Teil hat er ihr in einer anderen Zeit erzählt, den Rest erahnt oder erfindet sie sich. Erklärt sie ihn hinter seinem Rücken zum pathologischen Fall? Er weiß es nicht, will es nicht wissen. Er will so manches nicht wissen. Was er weiß, versiegelt ihm Mund und Augen, er will ein guter Vater sein, schon das ist Schwund, er sieht die Scheibe aus Panzerglas wachsen, hinter der ihm die Kinder ... entgehen – ein seltsamer Vorgang, denn eigentlich glaubt er sich ganz gut mit ihnen zu verstehen, nur diese Tendenz, ihn zu fliehen, als habe man schon zu viel Zeit mit ihm verbracht und könne es nicht länger verantworten, verwirrt ihn, doch jeder Versuch, die Entwicklung aufzuhalten oder sogar umzukehren, treibt sie voran. Die Kinder gehören dem, der das Sagen hat, der entmachtete, der machtentblößte Vater bietet den Anblick einer Vogelscheuche, auf der sich die Raben für einen Augenblick niederlassen, um sich krächzend wieder davonzumachen. Sporadische Versuche, von den Kindern kleinere Leistungen zu verlangen und gegen allerlei seltsame Widerstände durchsetzen, festigen seinen Ruf als Choleriker, ein Fall von übler Nachrede seitens der Frau, der ihn immer wieder aufs Neue erstaunt, weil er es einfach nicht glauben mag. Seit der Sache mit dem Ingenieur hat sie freie Hand, er wäre nicht verwundert, wenn sie ihm eine Missbrauchsgeschichte aus früher Kindheit anhängen würde. Seltsamerweise hält sie sich mit solchen Geschichten zurück, vielleicht ist das Thema durch die Mutter besetzt, vielleicht ist sie schon in einem Kreis damit aufgelaufen, in dem es härtere Aspirantinnen gab. Höchstwahrscheinlich passt es nicht zum Selbstbild der ›starken Frau‹, möglich auch, dass ihr ein leise lesbischer Zug verbietet, sich dieses finalen Appells an den Mann zu bedienen, die Rigorosität, mit der sie die Tochter an ihre Seite zwingt, lässt da manche Deutung offen. Die Pferdchen traben, das System ist eingeregelt, never change a winning team.