Novelle. The Hidden Power of Nonchalance
nächste Seite

– Das müssen Sie mir jetzt genauer erklären.

– Wenn ich es kann? Schon gut, ich werd’s versuchen. Zum Beispiel ist mir aufgefallen, dass dieser junge Mann – ich halte ihn für sehr jung, obwohl Sie mir zu verstehen gegeben haben, dass dies nicht seine erste Beziehung ist und dass er daher wohl zu den reiferen Jahrgängen zählt–, dass dieser junge Mann sehr genau sieht, was sie ihm zufügt. Sie haben da sicher mehr Erfahrung als ich, aber ich halte das für ungewöhnlich. Genauso ungewöhnlich finde ich es, dass er sofort in den Sog dieser Sache mit dem Ingenieur gerät. Ich glaube übrigens, dass das Frauen häufiger zustößt, sie reden nur selten darüber. Aber das ist ein anderes Thema. Sie haben ja Recht, manche Frauen neigen dazu, so etwas auszubeuten, aber das sind nicht die, denen es gerade passiert. Sie können mir ja viel erzählen, aber nicht, dass ein Mann sich sozusagen als Büßer – oder wie soll man das nennen, mir fehlt jetzt das richtige Wort – für die Untaten eines anderen hergibt, es sei denn, er kommt dabei auf seine Kosten. Das ist etwas, was Sie mir noch erklären müssen, sonst halte ich Ihre Geschichte für unglaubwürdig.

– Gut gebrüllt, Löwin. Wenn Sie jetzt anfangen, Ihr Kleines zu verteidigen, dann wird daraus endgültig unsere Geschichte.

– Das will ich doch nicht hoffen, mein Herr.

– Weiß man’s?

– Ich sollte jetzt wirklich gehen. Wie war das mit der Zeit, die man nicht doppelt ausgeben kann? Während ich hier sitze, könnte ich tausend Sachen erledigt haben, die jetzt warten müssen oder auf die ich niemals zurückkommen werde, weil es keinen Zweck hat. Aber was hat denn einen Zweck? Zum Beispiel hat es keinen Zweck, sich so von einem anderen Menschen behandeln zu lassen, dass am Ende nichts mehr von einem übrig bleibt. Ich weiß, was Sie sagen wollen. In gewisser Weise kommt diese Frau ja nicht an ihn heran, er beobachtet alles, er bedenkt alles, er führt sein Leben in gar keinem. Aber kein Leben ist nun mal keines, da hilft ihm auch keiner. Also, wie wollen Sie ihn aus diesem Dilemma herausholen?

– Indem ich ihn darin belasse. Ein Dilemma ist ein Dilemma. Kein Dilemma ist auch eines. Das Dilemma, das diesem Mann zustößt, ist das Dilemma einer Generation. Im Grunde hat er doch nie eine andere Art von Frauen kennengelernt. Diese hier wirkt so extrem, weil sie den kleinsten gemeinsamen Nenner repräsentiert – zum Abgewöhnen genau das Richtige. Alle diese Frauen haben zwei Dinge gemeinsam: eine gute Ausbildung und die fixe Vorstellung, anders zu sein als ihre Mütter und Großmütter. Anders zu sein, das ist der Zwang, unter dem sie stehen, sie müssen anders sein, daran scheitern sie. Da ihr Anderssein abstrakt ist, wiederholen sie das Leben der Mütter, soweit sie es kennen, also aus der Kindperspektive, sie büffeln sozusagen den Stoff vom Vorjahr und erwarten eine bessere Note, weil sie jetzt in einer höheren Klasse sind, aber dieser Stoff steht nicht auf dem Lehrplan und alle Anstrengung bleibt umsonst.