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Novelle. The Hidden Power of Nonchalance
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Was ich Ihnen hier erzähle, gute Frau, das ist eine Geschichte, und in so etwas, müssen Sie wissen, lasse ich mich ungern unterbrechen. Ach, nichts müssen Sie wissen, aber Sie könnten es wissen oder wenigstens so tun. Meine Mutter, sehen Sie, meine Mutter, eine Person, von der diese Lehrerin etwas besaß, pflegte ihre Hände bis ans Gelenk in kochendes Wasser zu versenken, vor allem dann, wenn ich ihr dabei zusah. Man muss lernen, es auszuhalten, sagte sie mit einem Lächeln, das willensstark wirken sollte. Es war aber nur Empfindungsarmut, ein körperlicher Defekt, der sie später das Leben kostete. Hier durfte ich kosten. Was brannte, war aber meine Seele, durch die sie ihre krebsroten Hände in Wirklichkeit zog. Sagen Sie, was Sie wollen, eine Lehrerin weiß, was sie will, auch wenn sie ganz unbeteiligt oder sogar unbedarft daherkommt. Darin liegt ein seelischer Defekt, ein Mangel, der sich zu einer richtigen Leere auswachsen kann, und auswachsen muss, wenn dabei die Fähigkeit wachsen soll, durch lebendige Menschen zu gehen und nicht etwa über Leichen oder über den See Genezareth. Sehen Sie, das ist, wie beim Sport, etwas ganz Körperliches und ganz Innerliches, es braucht schon ein bestimmtes Inneres, um solche Wirkungen in der Körperwelt zu erzielen, wie ich das einmal so sagen möchte. Meistens verachten die Menschen das Innere ja, sie wissen, es bringt keine Einschaltquoten, und das heißt ja nichts anderes, als dass sie erst gar nicht anspringen, sobald und solange es um das Innere geht. Das ist schon ziemlich merkwürdig, saublöd, sage ich Ihnen, sicher spielen diese vielen Reisen da mit hinein, denn dort, wo es schön ist, da lässt der Mitteleuropäer die Hosen herunter, das steht fest, und vor sich selbst, nur vor sich selbst, ist das eine ziemlich lächerliche Tätigkeit. Mancher weiß nicht einmal, wo er in einem solchen Fall eine Hose herbekommen soll, vom Rest ganz zu schweigen. Vor sich selbst, da ist man nackt, deshalb versucht sich jeder etwas überzuziehen, aber nur für zwischendurch, bevor es wieder losgeht, und diese zusammengerafften Klamotten sind auch ein Inneres, aber ein billiges. Wer dabei etwas abseits steht und sich nicht weiter bemüht, weil sein Bedürfnis, vor sich selber gut dazustehen und eine Figur zu machen, als komme man frisch aus dem Fernseher, nicht besonders gut ausgebildet ist, der hat natürlich Möglichkeiten, die anderen nicht im Traum aufgehen, dort schon gar nicht, weil sie aus der Leere entstehen. Diese Leere ist eine Abwesenheit, aber eine, auf die ich Ihre ganz besondere Aufmerksamkeit lenken möchte, weil sie nicht die Abwesenheit einer geliebten oder meinethalben ungeliebten Person ist, auch nicht die Abwesenheit von Einfällen, Erfindungen oder auch Empfindungen, das alles meinetwegen auch, aber in der Sache ist sie die akzeptierte Abwesenheit all dieser Dinge. Wenn ich sage: ›gut, akzeptiert‹, dann wissen Sie, eine Sache ist ausgestanden, aber noch nicht ganz, ich kaue noch dran, aber irgendwann ist sie gegessen. Das ist etwas anderes als die Abwesenheit, von der ich rede. Die Person, um die es hier geht, hat sich nicht irgendwann damit abgefunden, dass das eine oder andere nicht kommt oder nicht geht, obwohl sie das dauernd beteuert, sie konnte sich gar nicht abfinden, weil diese Sache nie an sie herangekommen ist – als Wunsch, als Begierde, ich meine, als wirklicher Wunsch, als wirkliche Begierde. Diese Person hat im Gegenteil nie gelernt zu akzeptieren: Wenn sie etwas will, kommt sie wieder, immer wieder, bis sie es bekommt oder der Teil, der es ihr verweigert, kaputt ist, so dass sie ihn entsorgen kann, was sie dann mit großem Gleichmut betreibt. Sie essen ja gar nicht, essen Sie, anstarren können Sie mich später, das hat Zeit.