Novelle. The Hidden Power of Nonchalance
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Übrigens ist sie die Intellektuelle des Klubs, ihre Lektüren machen die Runde, sie sorgt dafür, dass die Giftmischerinnen-Romane einer aus dem Ruder gelaufenen Provinztippse auf Monate hinaus ein absolutes Muss werden. Der Mann verdankt ihr die Bekanntschaft mit einem Schriftsteller-Phantom namens Houellebecq, dem das vage Kunststück gelingt, die Pulse im Damenkreis kurzfristig in die Höhe zu treiben. Zum gelinden Erstaunen des Mannes finden diese marktschreierischen Bücher nach und nach Eingang in das Wohnzimmerregal, in dem sich seine eigenen Bestände seit den Anfängen mit denen der Frau vermengen. An der Giftmischerin nimmt er erstmalig ein Verhalten wahr, das sich irgendwann ›steppenartig‹ unter den Damen ausbreitet und auch die Erinnerung an frühere Begegnungen nicht unberührt lässt: den Unwillen oder die Unfähigkeit – er weiß nicht, für welche Auslegung er sich entscheiden soll –, sich länger als fünf Minuten auf ein Gespräch mit ihm einzulassen, und zwar gerade dann, wenn er einmal, völlig entspannt, wie er meint, einer Plauderei nicht abgeneigt wäre; er merkt, wie das Köpfchen steigt, sich hin und her zu drehen beginnt, die Stimme einen gepressten Klang annimmt und die einfachsten Repliken ausbleiben, so dass ihm der Verdacht kommt, sie Gesprächspartnerin suche Hilfe in ihrer Umgebung oder müsse den anderen signalisieren, dass dieses Gespräch nicht auf ihr Konto gehe, dass es ihr förmlich aufgenötigt werde und sie folglich darum bitte, es in ihrer Akte nicht zu berücksichtigen. Eine Weile hält er sie fest, denn ihr Verhalten macht ihn neugierig, kaum gibt er sie frei, meint er das Schwirren eines entweichenden Kolibris im Raum zu vernehmen. Nein, das hier ist nicht der erste Fall, er erinnert sich, Ähnliches bereits früher, nur undeutlicher, mit der Gastgeberin erlebt zu haben. ›Frau‹ hat sich in der Wohnung der vormals eleganten Sprachlehrerin versammelt, gerade schneidet sie eine Geburtstagstorte an, ein Teil der anwesenden Gäste, Männer zumeist, ist auf den Balkon hinausgetreten, um schweigend, ein Glas Sekt in der Hand, auf den Garten des Grundstücks hinabzustarren, der sich entlang einer riesigen Brandmauer erstreckt, allerdings auch ein Stückchen darüber hinaus, was mit seinem Anblick insofern versöhnt, als ohnehin nicht viel damit ›los‹ ist. Diese Unfähigkeit, ein winziges Stück Natur überzeugend zu bändigen, zeigt sich seit einiger Zeit auch in der Frisur der Gastgeberin, dem Mann kommt es vor, als habe nicht etwa ihre Sorgfalt nachgelassen, sondern eine ihr voraus liegende Spannung, die er nicht genau lokalisieren kann, aber spontan ebenso sehr der veränderten Struktur des Haares wie des sich darauf richtenden Bewusstseins zuschreibt. Die Ursache dieser Veränderung bleibt ihm naturgemäß verborgen, doch es scheint, als finde sich ein Gegenstück dazu in der etwas sperrigen, frühere schräge Auftritte karikierenden Manier jener Frau, die erst vor fünf Minuten den Raum betreten hat und die seine Partnerin ihre beste Freundin zu nennen keine Sekunde zögern würde, obwohl jene sie keines Blickes würdigt, während sie sich dreht und reckt und ihr unmögliches Verhalten zugleich mit der unglaublichen Leistung, nun endlich ›gelandet‹ zu sein, in den Raum trompetet. Ziemlich gewöhnlich, wie die schreienden Farben auf ihren Röcken und Blusen, ist auch ihr Gang, ein stürmisches Trippeln, das Ungeduld und immer leicht fiebrige Erregung verraten soll, aber nur anzeigt, dass sie zu den Wesen gehört, die niemals genug haben können, egal, wieviel ›Erlebnis‹ sie inhalieren – sie kann es nicht, stattdessen hat sich die Grenze, sichtbar wie ein Dragonersäbel aus einer der zahllosen Sammlungen, die sie mit ihren Schülern im Lauf der Jahrzehnte zwischen Hradschin und Louvre frequentiert hat, quer durch ihren Körper gelegt, mit dem Knauf mitten im starren, aufrechten, fragend-fordernden Gesicht. Entgleisung, findet der Mann, ist nicht das richtige Wort, ›Vergleisung‹ schon eher. Denn was sich in früheren Jahren hier und da als schwache oder mittlere Möglichkeit der Verhärtung zeigte, als eine Tendenz, die Dinge anzugehen und sich zu geben, als erst erkundetes, später mehr ›typisches‹ Verhalten, ist es nun ganz und gar geworden, ohne die leiseste Abweichung, ohne ein augenzwinkerndes Ich-komm-damit-schon-klar, und das wäre ja auch nach Lage der Dinge verlogen. Die Lüge, so denkt der Mann, während er den Papagei mit melancholischen Blicken streift, ist in diese Körper eingetreten und an einer unvermuteten Stelle wieder herausgekommen, sie ist jetzt so sehr Bestandteil der Person, dass jeder Versuch, sie zu lokalisieren, nur Stimmiges zutage fördert, wo sie doch unmittelbar ins Auge springt. ›Ich bewege mich unter Personen, die nicht in Betracht kommen, sollte es sich um Automaten handeln, so sind sie geschickt konstruiert, aber bloß geschickt, sie wissen über alles und also auch über sich auf diese mechanische, repetitive Weise Bescheid, die Automaten eignet, man kann ihnen nichts sagen, entweder es fällt in ihr Programm, dann zerschneiden sie deine Rede und führen sie statt deiner zu Ende, oder es gehört nicht dazu, dann ist ihr Zuhören bloße Illusion. Vielleicht hören sie trotzdem zu, so, wie sie ihren Schülern zuhören, über deren Leistung sie sich währenddessen ein Bild machen, vermutlich vergeben sie Noten, wenn sie mit angehaltenen Mienen zu lauschen scheinen, aber wahrscheinlich warten sie einfach auf ihren nächsten Einsatz, immer auf dem Sprung, denn es darf keine Pause entstehen, das wäre Absenz.‹