Novelle. The Hidden Power of Nonchalance
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»Tja«, sagt die Älteste, die schon längst nicht mehr nippt, denn sie muss noch fahren, »jünger werden wir nicht, aber ich muss gestehen, ich fühle mich jünger von Tag zu Tag, das Alter, ich muss schon sagen, es kommt nicht an mich heran, es ist unwirklich, das ist es, was ich damit eigentlich sagen will.« Sie reist, seit sie pensioniert ist, in den Zwischenzeiten lässt sie sich zum Gespräch mit den Freundinnen herbei, das erhält die Autorität, zuletzt war sie auf Spitzbergen. »Grönland«, sagt sie, »ich hätte ja nicht gedacht...« Den Rest des Gedankens teilt sie nicht mehr mit den Anwesenden, sie will ihn nicht teilen, denn er ist ihr entfallen, still sortiert sie die Krümel auf ihrem Teller, während der Papageimann die Videokamera hebt, denn, so sagt er, man kann ja nie wissen. Dieses Leichtwerden, denkt der Mann, das tut keinem mehr weh. Wenn nur nicht unentwegt diese schrecklichen Sätze aus ihrem Munde kämen, sie ist die Einpeitscherin, sie trainiert die Jüngeren, die jetzt nach und nach auch aus dem aktiven Dienst ausscheiden. Seit zwanzig Jahren hat sie keinen Mann mehr auf der Matte gehabt, doch ihr élan ist ungebremst, oft sieht es aus, als werfe sie Kusshändchen, dann weiß man, sie hat wieder in Gedanken gesiegt. Manchmal wird es den anderen zuviel, sie blicken sie an, als wollten sie Schonung oder zumindest Aufschub von ihr erbitten, aber vor dieser Stimme verstummen sie und begreifen, dass es nicht an ihnen liegt und dass sie lernen müssen, schonungslos und unerbittlich zu sein. Diese Stimme, flatternd, kreischend, auffahrend, hetzend, dieses stoßende, hackende, immer und immer wieder dieselbe Kerbe traktierende Organ hat sein halbes Leben begleitet, es ist an seinem Tisch gesessen und jetzt hackt es ihn weg. Die Ex-Ingenieursgattin präsentiert sich der Kamera, bläst die Backen halb auf und zieht die Mundwinkel tief, während die Äuglein blitzen, das kann sie gut, das hat sie gelernt, das Gesicht hat sie gezeigt, wenn jemand sie nach ihrem Mann fragte, was selten genug vorkam. Dieser Krieg dauert dreißig Jahre, kein Westfälischer Friede ist in Sicht, die Parteien führen ständig frische Truppen ins Feuer, kein Einzelner hält das aus. Müde ist er, ein Veteran des Geschlechterkriegs, er sollte um seinen Abschied ersuchen und sich mit einer schmalen Pension zur Ruhe setzen, leider ist das nicht vorgesehen, das hier ist ein totaler Krieg, Ruhe und Vernichtung sind eins. Warum ihm? Er hat dieses Geschlecht geliebt, er mag keine Männer, ein Fehler vielleicht, aber er will sich nicht mehr umstellen, auch er ist ein Gewordener. Doch davor mangelt es ihnen an Respekt. Sie sehen nicht, was aus ihnen geworden ist, aber sie bestehen auf dem, was sie sind, keine Handbreit gäben sie her. Dass auch der Andere, den sie mit dem Zauberwort ›Partnerschaft‹ ins Schlepptau genommen haben wie die Polizei irgendeinen Verkehrssünder mit dem Schriftzug ›Bitte folgen‹, ein Gewordener ist, zeugt gegen ihn, es ist ein Quell fortwährender Denunziationen und Vorwürfe. Das wäre komisch, aber diese Weiber sind nicht komisch, sie haben auch keinen Sinn für Komik, sie sind ironiefest. Die Ex-Ingenieurfrau zum Beispiel, die ihm die Matratze für ihr neues Bett aus dem Keller holt (ohne auf den Gedanken zu verfallen, der Besitzer habe dabei noch ein Wort mitzureden, schließlich ist die Sache unter Frauen abgesprochen), komplettiert den Raubzug mit der ebenso lächerlichen wie ungeheuerlichen Bemerkung, ihr Ex zwinge sie, auf dem nackten Fußboden zu nächtigen. Dieselbe Frau fand bis zur ausgesprochenen Scheidung keine Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, seit ein paar Wochen ist sie wieder im Schuldienst. Sie haben aber – bei aller ›nötigen Differenzierung‹ – etwas gegen Sozialhilfeempfänger und finden, der Ausländerzuzug sollte auf das Nötige begrenzt werden. Hat er nicht gerade wieder ein paar anzügliche Sentenzen gehört? Sie können es nicht lassen, es ist die Murmel, die immer wieder die tiefste Stelle im flachen Gelände findet.